Die Nachfrage nach Porenbetonsteinen war enorm

Fortsetzung über das HEW-Kraftwerk in Alt Garge: „Das Goldtöchterchen“

Eine geniale Verwertungsstrategie

In Schweden war schon in den 1920er Jahren ein Verfahren zur Herstellung von „Porenbeton“ entwickelt worden. Auch in Dänemark betrieb eine Fabrik schon länger die Herstellung von Porenbeton. Basierend auf diesen Erfahrungen gründete man in Alt Garge 1949 die „Deutsche Porenbeton GmbH“ (DP) als HEW-Tochter und baute am dortigen Hafen eine Anlage zur Schlackenverwertung bei gleichzeitiger Baustofferzeugung. Die Flugasche des Kraftwerks wurde mit Kalk, Sand und Zement unter Zugabe von Alu-Pulver als Treibmittel vermengt. Letzteres wirkte wie Backpulver im Kuchenteig, und es blähte sich eine Masse mit einem hohen Anteil an Gaseinschlüssen auf. Diese wurde auf Spezial-Loren mittels Schneidegattern zu Blöcken und Bauelementen zersägt, die dann noch im Dampfkessel gehärtet werden mussten.

Vom Kraftwerk ist damals eine Dampf-Versorgungsleitung und je eine Leitung für Flugasche und Kesselschlacke zu den Lagerstätten der DP gelegt worden. Außer der leichten Flugasche fiel auch noch das schwerere Granulat der Kesselschlacke an. Dieses wurde Anfang 1953 in einer speziellen Presse zu handlichen Mauersteinen gepresst.

Aus den Ballastmengen der täglich im Kraftwerk verfeuerten 1200 t Steinkohle wurden 75000 dp-Mauersteine, 80 m3 dp „Celonit“ und 20 m3 dp Isoliermaterial gewonnen. Eine geniale Verwertungsstrategie!

Die Produkte mit ihrer hervorragenden Wärmedämmung waren in der BRD ein begehrter Baustoff. Die Erzeugnisse gingen aber auch per Schiff ins Ausland, vor allem nach Afrika.

Die Nachfrage stieg so enorm, dass das Kraftwerk den erforderlichen Nachschub an Rohmaterialien bald nicht mehr gewährleisten konnte. Darum wurden neue Rohrverbindungen zu den Kiesgruben im Barskamper Wald gelegt, damit die dort in der Anfangszeit abgelagerten Grundstoffe zur Wiedergewinnung aufgespült und mit einer Pumpe zum DP-Werk befördert werden konnten. Zudem wurde in Walmsburg ein sandiger Elbhang mittels Greifer und LKW-Transport abgetragen.

Ein Mitarbeiter erzählt von früher

Es gibt nur noch vereinzelte Zeitzeugen, die aus dem Betrieb des Porenbetonwerks berichten können.

Einer von ihnen ist Willi Karstens aus Schutschur. Ursprünglich hat Willi in Hitzacker in der damaligen Jeetzel-Werft den Beruf des Bootsbauers gelernt. Nach einer Zwischenstation in Hamburg auf der Howaldtswerft, jedoch baldiger Rückkehr in die Heimat fing er im Jahre 1963 bei der Firma Porenbeton an.

„Das war damals eine sehr erfolgreiche Firma. Wir waren 120 Mann, die in Früh-, Spät- sowie Nachtschicht gearbeitet haben. Darunter waren auch 10 bis 12 Türken. Einer unserer türkischen Kollegen hat mich auch mal zu Hause besucht.“

Für Willi Karstens war die Arbeit bei der Deutschen Porenbeton GmbH ein richtig guter Job: „Wir hatten ja die gleichen Leistungen wie die HEWisten. Es waren deshalb auch viele Leute aus den umliegenden Dörfern beim Porenbetonwerk beschäftigt. Ich bin jeden Tag mit dem eigenen Motorrad von Schutschur nach Alt Garge gefahren.“

Auf die Frage nach der Herstellung der Porenbetonplatten erklärt er uns: „Die Platten wurden auf 5 Meter Länge mit Bewehrungseisen in die Form gegossen und dann gepresst. Danach wurden die Platten im Kessel gebrannt. Auf Wunsch der Kunden wurden sie schließlich auf Länge geschnitten. Bei dieser Arbeit hat ein Kollege geschnitten, der andere gezogen.

Die Nachfrage nach unseren Produkten war enorm! Eine Zeitlang fuhr Hans Dörschel fast Tag und Nacht mit dem LKW nach Berlin, weil die unsere Steine für den Bau des Berliner Flughafens brauchten.“

Erinnerung an einen Betriebsausflug

„Wir haben auch mal eine Fahrt zum dänischen Porenbetonwerk unternommen. Die hatten schon viel länger Erfahrung mit der Produktion. Die ganze Belegschaft mit Ehepartnern fuhr mit dem Bus von Alt Garge zum Werk, das etwa 40 km von Kopenhagen entfernt lag.

Wir haben uns alles angesehen und wurden auch gut bewirtet. Es war ein schöner Tag.“

An den Zusammenhalt unter den Kollegen hat Willi Karstens nur positive Erinnerungen. Und schwärmt: „Wir haben doch gemeinsam mit den HEWisten in einer Werksmannschaft Fußball gespielt. Das waren tolle Zeiten.“

Leider war es dann im Jahre 1970 für ihn vorbei mit der Produktion von Porenbetonsteinen. „Da das Kraftwerk seine Produktion einstellte, war ja kein Nachschub an Schlacke mehr vorhanden.“

Dann wechselte Willi Karstens nach Hamburg-Bramfeld, wo die HEW auch einen Standort hatte. Schließlich ist er im Kernkraftwerk Krümmel gelandet, wo er bis zur Pensionierung gearbeitet hat.

Das Ende der Deutschen Porenbeton GmbH

Es war keine Überraschung für die Beschäftigten des Werkes, als am 29. September 1971 auf der Betriebsversammlung die endgültige Einstellung der Produktion zum 30. März 1972 bekannt gegeben wurde. Schon seit mehreren Jahren ging der Anfall von Asche aus dem Kraftwerk zurück. Trotzdem war die offizielle Bestätigung dessen, was alle schon wußten, für die Betroffenen ein deprimierendes Ereignis.

Die HEW bemühten sich nach ihren Möglichkeiten darum, soziale Härten zu vermeiden. So wurde auf der Betriebsversammlung verkündet, dass die Mitarbeiter – soweit sie nicht in andere Standorte der HEW wechseln wollten – von der in Göddingen ansässigen Baufirma Hoppe übernommen würden. Die neuen Verträge beinhalteten ähnliche Bedingungen und etwa gleich hohe Bezahlung.

Karl-Heinz Hoppe war bei den HEW kein Unbekannter. Sein Unternehmen führte einen großen Teil der anfallenden Kabelzieharbeiten für die Anlagenmontage aus. Die HEW sicherten der Firma Hoppe als Gegenleistung zu, auch künftig für ein entsprechendes Auftragsvolumen zu sorgen, solange Hoppe ein konkurrenzfähiges Angebot machen würde.

Die Firma Hoppe hat schließlich 30 der Mitarbeiter vom Porenbetonwerk übernommen.

Nach dem Rückzug der Deutschen Porenbeton GmbH hat die Firma Freka Schornsteinwerk GmbH auf dem Gelände noch ein paar Jahre produziert.

Heute sind ziemlich genau 50 Jahre vergangen, seitdem die einst so erfolgreichen Firmen HEW-Kraftwerk Ost-Hannover und Deutsche Porenbeton sich aus Alt Garge zurückgezogen haben. Es blieben von der Zeit nicht nur die schönen Erinnerungen, sondern auch große Probleme mit den ehemaligen Produktionsflächen.

Wer saniert die schadstoffbelasteten Böden?

Dass der umweltgerechte Rückzug der HEW aus Alt Garge den Verantwortlichen schon in den 70er Jahren Kopfschmerzen machte, läßt sich einem Artikel in der HEW-Werkszeitschrift „Die Sammelschiene“ entnehmen. Hier schreibt eine Jutta Bergmann vom Fachbereich „Umweltschutz“ der HEW im Oktober 1987:

„…Doch wer von den Kraftwerksplanern der vierziger Jahre hätte sich träumen lassen, dass beim Abriß der Anlage fast ein halbes Jahrhundert später der Berg der Umweltschutzanforderungen um ein Vielfaches höher sein würde?

Abriß ist nunmehr die genehmigte und geordnete Entsorgung aller Materialien und die Wiederanpassung des Geländes an sein natürliches Umfeld. Viele Genehmigungen mussten eingeholt werden, bis sichergestellt war, wo die 70000 cbm Bauschutt, Altöle und sonstige Sonderabfälle, z.B. Batteriesäure, entsorgt werden…“

Trotz aller Bemühungen und eingereichten Genehmigungsanträge ist jedoch nicht genug getan worden. Seit mindestens einem Jahrzehnt wissen Politiker und Öffentlichkeit, dass die ehemaligen Produktionsflächen noch immer stark mit giftigen Stoffen belastet sind.

Auch 50 Jahre nach dem Rückzug der HEW ist nicht geklärt, wie hier eine Sanierung aussehen könnte. Das Thema bewegt nach wie vor viele Bürger und Verantwortliche in Alt Garge. Es ist wie eine Wunde, die heute die Entwicklungsmöglichkeiten des Ortes behindert.

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